Gestern, Feiertag (Fronleichnam: von althochdeutsch fron = Herr, liknam = Leib, kirchenlateinisch: corpus christi, offiziell Hochfest des Leibes und Blutes Christi) habe ich angefangen, den Balkon umzustellen, also schonmal alles so hinzustellen, wie es dann aussieht, wenn der morsche Teil abgerissen sein wird.
Wir bekommen von den Nachbarn ja noch Land dazu und dann mache ich einen großen Rasen dorthin, das wird wunderschön, und da kommt dann alles hin, was jetzt noch auf dem Balkn steht, Liegestuhl und so eine Holzgarnitur, zwei Bänke und ein Tisch, was man so in Bierzelten hat.
Jedenfalls gefällt mir der „kleine“ Balkon viel besser, das sieht alles viel gemütlicher aus. Mein Mann ist mit allem gar nicht einverstanden, er hasst Veränderungen. Da ist er wie meine Tante, mit der ich lange Jahre zusammen gelebt habe. Wenn ich ein Bild umgehangen habe, kriegte sie schon die Krise.
Krise hin, Krise her, der Balkon muss ab. Also der morsche Teil. Dieser Balkon hat, wie das ganze Haus, seine eigene Geschichte. Ganz ganz früher war er 2 qm groß. Zwei. Als Opa und Oma das Haus gebaut haben. Und mein Vater erzählte, wie sie an lauen Sommerabenden alle zusammen dort gehockt haben. Wie stolz sie waren, ein eigener Balkon! Der Garten war ca. 1000 qm groß und wo haben sie gehockt? Auf zwei Quadratmetern Balkon! Wie er und seine Kumpels dort Skat spielten. Auf 2 Quadratmetern!! Ging alles.
Tja und dann bin ich in das Haus gezogen. Oma lebte nicht mehr, Opa war schon lange tot. Und dann hat mein Vater mir einen „richtigen“ Balkon gebaut. Über die ganze Hausbreite und 4 Meter tief, also 8 x 4 = 32 qm. Recht groß. Das Haus meiner Eltern stand versetzt nebenan, und irgendwann war mir das Gerenne zu viel und ich schlug vor, lasst uns doch in Eure Hauswand eine Türe einbauen. Gesagt, getan, so hatte das Wohnzimmer meiner Eltern eine Balkontüre raus auf den Balkon.
Fortan fand das Sommerleben dort statt, und irgendwann kam mein Vater auf die Idee, noch ein Stückchen an den Balkon dran zu bauen, 4 x 4 Meter. Der Teil, der den ganzen Tag Sonne hat. Das Bild oben habe ich gemacht, als ich auf diesem Sonnenteil stand. Das wird alles bis zur Hauswand abgerissen.
Darauf freue ich mich wirklich sehr. Denn dann kommt der Müll von unten drunter weg und wir haben einen Rasen. Das ist noch viel Arbeit. Und da wir chonisch pleite sind, wird das auch seine Zeit dauern.
Und als ich gestern in dieser Ecke stand:
da fiel mir alles wieder ein und ich wurde sehr sehr traurig. Wir haben uns da so wohl gefühlt und es war eine wirklich schöne Zeit. Dann verliebte ich mich in meinen Mann und der Horror mit meinen Eltern begann.
Mutter hat das alles zerstört. Sie ist wahrlich eine „böse Schwiegermutter“, sie hat in ihrem Leben fast immer alle Bindungen am Ende zerbrochen, ob es auf der Arbeit war, im Freundeskreis, alles fing euphorisch an und endete meist im Desaster.
So auch hier. Meine Eltern sind dann weggezogen, hätten sie es nicht getan, wären wir gegangen. Mit großen Verlusten, denn das Haus gehörte damals noch meinen Eltern.
Nun ist es mein Eigentum und ich befreie mich von den morschen Teilen. Lustig, das ausgerechner der Teil morsch geworden ist, den meine Mutter in Beschlag genommen hatte.
Ich stand jedenfalls gestern in der Ecke und mich überkam Trauer. Trauer um all das Zerstörte, was nicht mehr repariert werden kann. Nur noch weg gemacht. Weg mit Schaden. Ich habe meinen Vater angerufen und ihm von der Trauer berichtet und gemeint, die wolle ich jetzt mit ihm teilen. Er wurde ganz still. Auch er weiß, wie seine Frau ist. Er hat sich nie dagegen gewehrt. Gerächt hat er sich. Gewehrt nie.
Sein Leben. Ich lebe hier mein Leben und dazu gehört die Trennung von morschen Balkonbrettern. Dazu gehört bald ein eigener Rasen, dazu gehört ein kleines hinzugewonnenes Grundstück. Es wird schön werden, das weiß ich. Hajo wird es auch schön finden, er hasst Veränderungen, aber er war hinterher immer froh. Original wie meine Tante! Mit der ich in der Wohnung hier unten lebte.
Aber das ist ein anderes Kapitel, davon erzähle ich vielleicht morgen.