Nun, das ist ein nicht so leichtes Thema, aber es ist nunmal ein Thema. Nein, ich bin nicht krank, mein Mann ist es. Und zwar so, dass unser gemeinsamer Alltag davon arg betroffen ist. Er hat Sympthome, die einer chronischen Bronchitis ähnlich sind, er bekommt oft kaum Luft. Das schleppt sich jetzt Monate hin, er war bei diversen Ärzten, sogar in einer Lungenfachklinik. Seine Lunge ist soweit in Ordnung, was seltsam klingt, aber so ist.
Was für mich heißt, der gesamte Alltag hängt an mir. Weil er es einfach nicht mehr kann. Er muss tagsüber mit den Hunden gehen, was einerseits gut ist, so hat er Bewegung, was aber andererseits dazu führt, dass er wirklich sehr schlapp ist, weil diese Spaziergänge seine ganze Kraft erfordern.
Meine ganze Kraft ist gefordert, denn natürlich stützt er sich auf mich, was ich im umgekehrten Falle wohl auch täte. In guten wie in schlechten Zeiten. So ist das nunmal.
Nein, es geht mir nicht schlecht damit, ich bin nur einfach oft am Rande meiner Kräfte und brauche alle Energie für mich. Das ist einfach so. Aber auch damit kann ich gut leben.
Er geht jetzt erstmal in Kur, wenn alles klappt. An die See, die soll ja für die Atemwege gut sein. Und ich gehe Ostern zwei Wochen meine Mutter sitten, die nicht mehr alleine leben kann. Mein Vater will zu seinen Enkeln nach Bahrain, er könnte nicht fliegen, wenn keiner bei meiner Mutter wäre.
Ich freue mich auf die Zeit! Wirklich, ich habe so viel erkannt in den letzten Monaten, Jahren, ich habe so viel aufgearbeitet, ich kann jetzt mit Mutter friedlich zusammen sein. Sie ist meine Mutter, ich habe nur diese eine. Sie hatte eine grausame Kindheit und sie hat ihr Leid so oft an mir ausgelebt. All das habe ich verzeihen können. Ich bin frei. Frei für die Zeit, wo sie nur meine Mutter sein kann, ohne Verletzungen und ohne die schreckliche Vergangenheit.
„Dann machen wir es und gemütlich, Kind“, sagte sie jetzt am Telefon zu mir. Das Kind ist erstens 50 und zweitens sieht diese Gemütlichkeit so aus, wie genau sie die bestimmt. Aber das ist eben so.
Es ist meine Mutter.
Und bei allem, was sie verbockt hat, was sie an mir ausgelassen hat, was ich ihr vorwerfen kann, sie war es, die mich auf diese Welt gebracht hat.
Wir hatten es nie leicht miteinander. Schon wie ich geboren wurde hatten wir es schwer. Sie war 21, als ich geboren wurde, man hatte sie zerschreddert, man hatte sie wirklich gequaelt und dann hat man mich weggenommen, erst nach Tagen kam ich zu ihr und fortan hatten wir es schwer miteinander.
Heute haben wir es leicht. Weil ich ganze Arbeit geleistet habe. Ich habe mir meine Mutter erarbeitet. Und ich habe geschundene Füße, oh Wunder. Ich kann neue Schuhe kaum tragen, weil sie mir sofort alles kaputt machen. Am besten vertrage ich bereits getragene, eingetragene Schuhe.
Und wenn ich meine Mutter besuche, bekomme ich die alten Schuhe von ihr. Es ist, als wolle sie mir sagen, hier Kind, nimm diese, gehe in meinen Schuhen, damit du laufen kannst.
Ich kann in ihren Schuhen wunderbar laufen.
Es ist eben meine Mutter.