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–> Mein Blog Samate

Dean Martin

Er wäre heute, lasst mich rechnen, 89 Jahre geworden, hätte er durchaus erreichen können. Von ihm stammt jedenfalls der geniale Satz

Du bist nicht betrunken, solange du auf dem Boden liegen kannst ohne dich festzuhalten.

Warum ich den genial finde? Weil in diesem einen Satz das ganze Hollywood drin steckt. Ein Satz, der all das ausdrückt, was fehlt, wenn man zu viel hat von dem, was man nicht braucht.

Wirklich genial.

Was weg muss

Gestern, Feiertag (Fronleichnam: von althochdeutsch fron = Herr, liknam = Leib, kirchenlateinisch: corpus christi, offiziell Hochfest des Leibes und Blutes Christi) habe ich angefangen, den Balkon umzustellen, also schonmal alles so hinzustellen, wie es dann aussieht, wenn der morsche Teil abgerissen sein wird.

Wir bekommen von den Nachbarn ja noch Land dazu und dann mache ich einen großen Rasen dorthin, das wird wunderschön, und da kommt dann alles hin, was jetzt noch auf dem Balkn steht, Liegestuhl und so eine Holzgarnitur, zwei Bänke und ein Tisch, was man so in Bierzelten hat.

Jedenfalls gefällt mir der „kleine“ Balkon viel besser, das sieht alles viel gemütlicher aus. Mein Mann ist mit allem gar nicht einverstanden, er hasst Veränderungen. Da ist er wie meine Tante, mit der ich lange Jahre zusammen gelebt habe. Wenn ich ein Bild umgehangen habe, kriegte sie schon die Krise.

Krise hin, Krise her, der Balkon muss ab. Also der morsche Teil. Dieser Balkon hat, wie das ganze Haus, seine eigene Geschichte. Ganz ganz früher war er 2 qm groß. Zwei. Als Opa und Oma das Haus gebaut haben. Und mein Vater erzählte, wie sie an lauen Sommerabenden alle zusammen dort gehockt haben. Wie stolz sie waren, ein eigener Balkon! Der Garten war ca. 1000 qm groß und wo haben sie gehockt? Auf zwei Quadratmetern Balkon! Wie er und seine Kumpels dort Skat spielten. Auf 2 Quadratmetern!! Ging alles.

Tja und dann bin ich in das Haus gezogen. Oma lebte nicht mehr, Opa war schon lange tot. Und dann hat mein Vater mir einen „richtigen“ Balkon gebaut. Über die ganze Hausbreite und 4 Meter tief, also 8 x 4 = 32 qm. Recht groß. Das Haus meiner Eltern stand versetzt nebenan, und irgendwann war mir das Gerenne zu viel und ich schlug vor, lasst uns doch in Eure Hauswand eine Türe einbauen. Gesagt, getan, so hatte das Wohnzimmer meiner Eltern eine Balkontüre raus auf den Balkon.

Fortan fand das Sommerleben dort statt, und irgendwann kam mein Vater auf die Idee, noch ein Stückchen an den Balkon dran zu bauen, 4 x 4 Meter. Der Teil, der den ganzen Tag Sonne hat. Das Bild oben habe ich gemacht, als ich auf diesem Sonnenteil stand. Das wird alles bis zur Hauswand abgerissen.

Darauf freue ich mich wirklich sehr. Denn dann kommt der Müll von unten drunter weg und wir haben einen Rasen. Das ist noch viel Arbeit. Und da wir chonisch pleite sind, wird das auch seine Zeit dauern.

Und als ich gestern in dieser Ecke stand:

da fiel mir alles wieder ein und ich wurde sehr sehr traurig. Wir haben uns da so wohl gefühlt und es war eine wirklich schöne Zeit. Dann verliebte ich mich in meinen Mann und der Horror mit meinen Eltern begann.

Mutter hat das alles zerstört. Sie ist wahrlich eine „böse Schwiegermutter“, sie hat in ihrem Leben fast immer alle Bindungen am Ende zerbrochen, ob es auf der Arbeit war, im Freundeskreis, alles fing euphorisch an und endete meist im Desaster.

So auch hier. Meine Eltern sind dann weggezogen, hätten sie es nicht getan, wären wir gegangen. Mit großen Verlusten, denn das Haus gehörte damals noch meinen Eltern.

Nun ist es mein Eigentum und ich befreie mich von den morschen Teilen. Lustig, das ausgerechner der Teil morsch geworden ist, den meine Mutter in Beschlag genommen hatte.

Ich stand jedenfalls gestern in der Ecke und mich überkam Trauer. Trauer um all das Zerstörte, was nicht mehr repariert werden kann. Nur noch weg gemacht. Weg mit Schaden. Ich habe meinen Vater angerufen und ihm von der Trauer berichtet und gemeint, die wolle ich jetzt mit ihm teilen. Er wurde ganz still. Auch er weiß, wie seine Frau ist. Er hat sich nie dagegen gewehrt. Gerächt hat er sich. Gewehrt nie.

Sein Leben. Ich lebe hier mein Leben und dazu gehört die Trennung von morschen Balkonbrettern. Dazu gehört bald ein eigener Rasen, dazu gehört ein kleines hinzugewonnenes Grundstück. Es wird schön werden, das weiß ich. Hajo wird es auch schön finden, er hasst Veränderungen, aber er war hinterher immer froh. Original wie meine Tante! Mit der ich in der Wohnung hier unten lebte.

Aber das ist ein anderes Kapitel, davon erzähle ich vielleicht morgen.

Mein täglich Brot

Da sehen wir den Graphen eines Datendurchsatzes, was die elektronische Kommunikation sozusagen verbrät. Das Gerede zwischen den Maschinen. Und ich muss immer gucken, dass das auch ok ist, dass sie weder zu viel noch zu wenig und wenn, dann nichts falsches erzählen. Und tun sie es einmal doch, muss ich auch noch herausfinden, warum das so ist und möglichst schnell abstellen.

Das ist bei Menschen nicht anders, nur dass es da keine so schönen Schaubildchen gibt. Dafür spürt man dann ein Unbehagen, wenn nur noch „Datenschrott“ kommt. Und wenn die Kommunikation nicht mehr stimmt, merkt man es auch.

Der Weg des Künstlers

Wenn ich über den spirituellen Pfad zur Aktivierung meiner Kreativität gelaufen bin, den Julia Cameron mir gerade aufzeigt, dann wird aus diesem Chaos eine Werkstatt für meine Computerkunst. Dies ist einer meiner zahlreichen Kellerräume, die vollgestellt sind mit Vergangenheit. In dem lila Eimer sind Türbeschläge von Türen, die es gar nicht mehr gibt, die meinen Großeltern gehörten. Und die Schublade ist aus einem ganz alten Küchenbuffet von meiner Oma, was da wohl mal alles drinne war? Oben steht eine alte Brotschneidemaschine aus Berlin, die hat meine andere Oma mitgebracht, als sie in dieses Haus gezogen ist. Unter dem Regalfach mit der Schublade ist ein alter hölzerner Besteckkasten, der jetzt für alte Nägel gebraucht wird, darüber sieht man altes Papier, was in die Schulbladen gelegt wurde zum Schutz. Ach wenn diese Dinge doch reden könnten. Sie würden mir die Lebensgeschichten meiner Familie erzählen. Würden von Träumen berichten. Von Sorgen. Von Trauer und von Freude. Ich kann mich von all dem nicht trennen, ich höre die Stimmen dieser Dinge und sie haben in dem alten Haus ihren Platz. Alles hat dort seinen Platz. Eines Tages wird dort meine Werkstatt sein. Vielleicht die einzige Werkstatt mit Berliner Brotschneidemaschine und 60 Jahre altem Schonpapier. Ich werde nichts von dem hergeben, vielleicht verbaue ich es ja in meine Kunstwerke.

Doch ich habe noch viel mehr vor, aber vorerst muss dieser Hinweis reichen. Ich habe auch nicht viel Zeit zum bloggen, ich muss das Buch lesen. Außerdem wartet da noch Deutsch für Profis auf mich, von Wolf Schneider. Vielleicht, so kommt mir grad eine Idee, die sich wirklich gut anfühlt, lerne ich auf meine alten Tage noch mal Gramatik. Imperfekt und Plusquamperfekt und Partizip Perfekt und wem iss datt Fahrrad? Ich!

Ich beginne Lust am Leben zu kriegen. Ich beginne mich zu verstehen. Und ich beginne mich gut zu finden. Oh ist das schwer. OH IST DAS SCHWER. Meine Schwester geht den Weg der Künstlerin mit. Ich musste ihr das Buch schicken, was verdammt teuer war so weit weg ins sonnige Ausland, aber ich wusste, das ist das Buch für sie. Nun gehen wir gemeinsam über den Pfad.

Wenn ich nur nicht so viel unter Pilzen arbeiten müsste.

Ich muss lesen.

Bütterkenzeit

In den letzten Tagen denke ich oft an meine Großeltern. Was hatten sie für Träume? Wie haben sie sich als junge Menschen das Leben gedacht? Wie sind sie ihren Weg gegangen und waren sie immer einverstanden? Die Zeit mit ihnen hier in dem Haus, in dem ich jetzt lebe, war für mich eine sehr unbeschwerte. Sie waren einfach da. Es war eine, wie meine Schwester und ich das nennen, „Bütterkenzeit“. Bütterken war das, was meine Oma uns Kindern nachmittags machte, wenn wir vom Spielen hereinkamen, dann gab es Weißbrot mit dick Butter und Marmelade, Bütterken eben. Gestern chattete ich mit meiner Schwester, die ja nun tausende von Meilen entfernt im Orient wohnt und wir stellten beide fest, wie sehr wir uns nach dieser Bütterkenzeit zurücksehnen. Meine Großeltern leben nicht mehr. Und doch sind sie hier in dem Haus. In dem ich lebe. Und in dem ich mich nach Bütterkens sehne, die jemand für mich macht.

Retraumatisierung

So sieht es aus, wenn man es nicht verwinden konnte, ein Tier zu verlieren, weil man genau dies ohne Erklärung und ohne Hilfe in der Kindheit durchmachen musste.

Ich spreche in Rätseln, und darum jetzt eine Erklärung. Drei Jahre war ich alt und liebte meinen kleinen Pucki über alles. Ich spielte mit ihm und fuhr ihn im Puppenwagen durch die Gegend, er hat alles mit sich machen lassen. Und dann kam ich nach Hause und lief, wie jeden Tag, zu seiner Decke neben dem Ofen…

…und es war keine Decke mehr da und auch kein Pucki. Ich kann mich noch an die Angst erinnern, die eine Ahnung in mir aufsteigen ließ. Meine Fragen an meine Mutter wurden nicht beantwortet. Pucki war für mich auf unerklärliche Weise verschwunden und jeder meiner Fragen wurde mit wachsender Agression begegnet. Hinzu kam dann noch, dass ich beschuldigt wurde, nicht genug für den Hund gesorgt zu haben, mit drei Jahren!!

Dieses Erlebnis hat mich nachhaltig geprägt, um nicht zu sagen, es hat mich traumatisiert. Meine kleine Hundeseele war weg und ich durfte nicht fragen und niemand redete mit mir darüber. Still sollte ich sein und selber schuld war ich auch noch, hätte ich mich doch mehr um ihn gekümmert!

Vor über zwei Jahren holte ich dann dein kleinen Struppi aus Spanien zu uns, der noch am Tage seiner Rettung getötet werden sollte. Wir waren sofort ein Herz und eine Seele, doch das kleine Strüppchen durfte nur drei Monate bei uns bleiben, dann starb er an einer heimtückischen Krankheit, einer Krankheit, die ich als kleines Kind auch nur knapp überlebte: Tetanus, auch Wundstarrkrampf genannt.

Meine Verzweifelung war unsagbar groß und ich verlor fast unmittelbar die Farbe an Händen und Füßen. Struppi fehlte mir so, und ich spürte, da ist etwas, was weit zurück liegt und sehr dunkel ist und was mich an all das erinnert. Ich wollte der Sache auf den Grund gehen und entschloss mich zu einer Gestalttherapie. Tja und diese hat all die grausigen Erlebnisse zutage geführt, die meine Mutter meiner Kinderseele angetan hat.

Meine Schwester erzählte mir, dass in einigen Teilen des Orients geglaubt wird, dass die Hunde sich für ihre Menschen opfern, so sehe ich das heute auch. Struppi hat mir meinen Weg gezeigt, er ist für mich genau diesen Tod gestorben an genau dieser Krankheit. An seinem ersten Todestag war ich in Herne, in der Fortbildungsakademie. Ich habe das Datum nicht erinnert, doch als wir abends spazieren gingen, erschien ein riesengroßer bunter leuchtender Regenbogen und ich musste sofort an die Regenbogenbrücke denken, an der Struppi auf uns wartet. Aufgeregt fragte ich meine Kollegen nach dem Datum und da wusste ich es, Struppi schickt mir eine Botschaft und es geht ihm gut.

Meine Farbe kommt nie wieder, genauso wenig wie Pucki und Struppi. Ich werde durch die Flecken immer wieder an meinen Weg erinnert. An das verletzte kleine Mädchen, an ihren Kummer und ihren Schmerz. In dem Buch von Rüdiger Dahlke, Krankheit als Symbol, sagt er, dass dies wie eine Auszeichnung sei, man sei „gezeichnet“ und ja, so sehe ich es, ich habe es geschafft. Ich bin meinen Weg gegangen und ich habe so vieles erkannt und mich so vielem gestellt. Ich bin gewachsen.

So wie die Schere und der Wasserkrug des sorgsamen Gärtners den Baum in die Höhe treiben, so lassen die Schmerzen und Tränen des vergangenen Jahres des Menschen Seele reifen.
– aus dem Chinesischen –